Manesses Minnesänger malen

[Aktualisiert am Dienstag, 10. September 2019]

Schüler und Schülerinnen des DBG beschäftigen sich mit „Popstars des Mittelalters“

Holde Maiden, kühne Recken, tapfere Turnierreiter und edle Minne auf hochaufragenden Burgen – diese Vorstellung kommt fast jedem vor Augen, der an mittelalterliche Hofkultur denkt. Wenn bei Hofe zarte Liebeslieder ertönten, war mit Sicherheit ein Minnesänger im Spiel. Die Musiker, meist selbst von adliger Herkunft, zogen von Burg zu Burg, fiedelten oder zupften die Harfe und besangen schmachtend die Schönheit der Frauen. Manch klampfender Dichter wurde damit sehr berühmt, einige sind es bis heute.

„Minne“ ist dabei das mittelhochdeutsche Wort für das, was wir heute als „Liebe“ in allen ihren Spielarten bezeichnen. Ganz allgemein meinte man damals damit die positive mentale und emotionale Zuwendung, das „freundliche Gedenken“ an eine liebenswürdige Person. In der Endphase des Mittelalters verlagerte sich die Bedeutung des Wortes „Minne“ immer stärker auf den anrüchig bis „schmuddeligen“ sexuellen Aspekt, so dass das Wort zur Bezeichnung „edlerer“ Gefühle nicht bloß untauglich wurde, sondern immer mehr dem sprachlich tabuisierten Bereich zugeordnet wurde. Allmählich ersetzte man deshalb „Minne“ durch das Wort „Liebe“, bis es im Allgemeinen deutschen Sprachgebrauch quasi ausstarb. 

Ein Minnesänger trug in einer Zeit, in der lange Winterabende nicht mit Fernsehen, Kino, Internetaktivitäten oder ähnlichem ausgefüllt waren, einem interessierten Publikum Liebeslieder vor. Diese Sänger gehörten dem Ritterstand an und waren – wie oft auch heutige Sänger – sehr angesehen. Berühmte Minnesänger der Hochphase dieser Gesangsform waren Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. 

Anhand des „Codex Manesse“ beschäftigten sich Schülerinnen und Schüler der Klasse 6 a unter Anleitung ihres Lehrers Andreas Jost im Fach Bildende Kunst intensiv mit dem Thema ritterlicher Minnesang und mit der Parzivaldichtung des Minnesängers Wolfram von Eschenbach, der vermutlich von 1170 bis 1220 in unserer fränkischen Heimat lebte. 

Die heute „Codex Manesse“  genannte Liederhandschrift ist die umfangreichste und berühmteste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters. Seit über hundert Jahren wird die aus 426 beidseitig beschriebenen ledernen Pergamentblättern bestehende, in mittelhochdeutscher Sprache verfasste Sammlung in der Universitätsbibliothek zu Heidelberg aufbewahrt. Mittelhochdeutsch sprach man im deutschen Raum etwa zwischen 1050 und 1350.

Begonnen wurde die Sammlung um das Jahr 1300 in Zürich, vermutlich im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit des Zürcher Patriziergeschlechtes Manesse. Nachträge wurden dem Buch bis zum Jahr 1340 hinzugefügt. Das repräsentative Werk des  mittelalterlichen Laienliedes enthält 138  Malereien, die mittelalterliche Dichter in stark idealisierter Weise bei adelig-höfischen Aktivitäten darstellen oder auch Passagen aus ihrem dichterischen Werk bildlich darstellen. Mehrere Maler  lieferten Entwürfe für die dargestellten Minnesänger oder vollendeten die Illustrationen. Auch die enthaltenen Textpassagen stammen von mehreren Schreibern. Aufgrund ihres Umfangs und ihrer Qualität gilt die Manessische Liederhandschrift als vielleicht bedeutendstes Dokument der  Buchmalerei der gotischen Epoche im Bereich des Oberrheins bzw. des Hochrheins. 

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 6 a fertigten, um die Malweise der Buchillustratoren kennenzulernen, Kopien der Minnesängerdarstellungen an. Zuerst wurden Bleistift-Vorzeichnungen erstellt, die dann mit Farbpigmenten koloriert wurden. Abschließend wurde mit Hilfe von Wassertankpinseln ein farbdeckender Effekt erzielt.

Im Vorfeld der handwerklich-künstlerischen Übungsarbeit hatten sich die meist elfjährigen Kinder intensiv mit mittelalterlichem Rittertum und Minnesang befasst. Vor dem Hintergrund, dass das Wertheimer Gymnasium vor der Umbenennung in „Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium“ den Namen des fränkischen Minnesängers Wolfram von Eschenbach trug, wurde auch dessen Versroman „Parzival“ mit der Suche nach dem legendenumwobenen „Heiligen Gral“ im Unterricht behandelt. Wolfram tat in seinem Leben an zahlreichen Höfen Dienst. Mit nachgewiesener Sicherheit stand er in Verbindung mit dem Grafengeschlecht auf der Wertheimer Burg. Für die Herren von Dürn,  nach denen die Stadt Walldürn benannt ist und denen die Burg Wildenberg im Odenwald gehörte, könnte er einen weiteren Teil des Parzival verfasst haben. Das Wertheimer Gymnasium erhielt im Jahr 1937, also zur Zeit des Nationalsozialismus, den Namen „Wolfram von Eschenbach-Schule, Oberschule für Jungen“. Dennoch konnten Mädchen die Schule in geringer Zahl besuchen. Den Namen „Wolfram von Eschenbach-Schule“ behielt das Wertheimer Gymnasium bis zum Jahr 1965. Der Minnesängers war deshalb als Namensgeber der Schule gewählt worden, da der Dichter die Glanzzeit Wertheims im Mittelalter repräsentierte. Anlässlich des Neubezuges des Wertheimer Gymnasiumsgebäudes in der Conrad-Wellin-Straße im Jahr 1965 setzte der damalige Bürgermeister Karl Josef Scheuermann im Gemeinderat den heutigen Namen „Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium“ durch, um den nationalsozialistischen Fleck in der Geschichte der Anstalt sichtbar zu tilgen, obwohl der mittelalterliche Minnedichter Wolfram von Eschenbach ja nachgewiesenermaßen keinen Einfluss auf seine Vereinnahmung zur Zeit des Nationalsozialismus haben konnte. 

Die Buchillustrationen der Kinder zur Manessischen Liederhandschrift sind im Rahmen einer kleinen Ausstellung im Verwaltungstrakt des Wertheimer Gymnasiums ausgestellt.